Julius Pflug (1499–1564)

Ein Leben in Zeiten des Umbruchs

In den 65 Jahren seines Lebens war Pflug Augenzeuge und Akteur bedeutender Entwicklungen, Umbrüche und Ereignisse. Immer wieder war seine Biografie mit zentralen gesellschaftlichen und kirchenpolitischen Veränderungen seines Jahrhunderts verknüpft.

So wurde der aus gutem Hause stammende und durch die bestimmende Einflussnahme seines Vaters protegierte Spross einer der angesehensten Adelsfamilien Mitteldeutschlands schon in seiner frühesten Jugend mit den erweiterten geografischen Dimensionen der Welt vertraut. Im Benediktinerkloster Pegau, wo er die ersten Lektionen in lateinischer Sprache erlernte, wusste man schon früh von der epochalen Bedeutung der Entdeckung des neuen Kontinents Amerika und den damit verbundenen Folgen. Auch der von seinem Vater engagierte Privatlehrer Alexander Crossner eröffnete dem Knaben mit der Welt der gedruckten Bücher neue Horizonte und bereitete den Eintritt in die akademische Welt der Alma Mater Lipsiensis vor, in dem er ihm zum Abschluss ein bemerkenswertes Empfehlungsgedicht mit auf dem Weg gab. An der Universität Leipzig traf der gerade elfjährige Pflug auf eine Welt, die fortan die seine werden sollte. Die artes liberales insgesamt, insbesondere aber die Feinheiten aus Rhetorik und Poesie der lateinischen Sprache und die Anfänge der griechischen verinnerlichte er wie kaum ein anderer. Seine berühmten Lehrer Petrus Mosellanus und Richard Croke, Humanisten ersten Ranges, vermittelten die Werte und Vorstellungen der Renaissance und des Humanismus, denen er fortan aus tiefster Überzeugung verpflichtet war. Sie erkannten seinen Fleiß und sein Talent und wiesen ihm den Weg nach Italien. Damit eröffneten sie ihm den Zugang zu einer mit dem Erbe der Antike verknüpften europäischen und zugleich christlichen Dimension des Denkens. Die in Leipzig, Bologna, Padua, Rom und Venedig geknüpften Freundschaften und Netzwerke mit Kommilitonen und Lehrern pflegte er sein Leben lang. Durch seinen Onkel Nikolaus von Schönberg, der Kardinal an der Kurie war, erhielt Pflug erste Einblicke in die päpstliche Kurie und fiel auch hier durch Geschick und Klugheit auf. Das Entstehen des neuen Petersdoms sah er mit eigenen Augen; wenig später war er direkt betroffen von den Zwistigkeiten zwischen Kaiser und Papst, die im Sacco di Roma mündeten, wo er den Großteil seiner Bücher durch die Kriegshändel verlor. Von Mosellanus und seinem Vater Cäsar Pflug, die beide Augenzeugen und Beteiligte der Leipziger Disputation waren, erfuhr er aus erster Hand von den aufregenden Neuigkeiten des Wittenberger Universitätslehrers Martin Luther. Angesichts der zunehmend beunruhigenden Nachrichten, die ihn von verschiedenen Seiten erreichten, verschaffte er sich durch die Lektüre von Luthers Schriften selbst ein Bild und vertiefte sich Stück für Stück in die Theologie. Das den Artes folgende Studium der Jurisprudenz beiderlei Rechts, das er in Leipzig mit dem Lizenziat abschloss, eröffnete ihm zusammen mit dem erforderlichen Ablegen der geistlichen Weihen als Akolyth und Subdiakon die Türen für eine vielversprechende Laufbahn. Erste Kanonikate in Meißen und Zeitz, denen bald weitere in Naumburg, Merseburg, Magdeburg und Mainz folgten, bildeten aus seiner Sicht die gesicherte Verankerung im Schoß der Kirche und erlaubten ihm, im Dienst des gebildeten und mächtigen Herzogs Georg des Bärtigen Erfahrungen als Gesandter und Diplomat zu sammeln. Pflug war bei der Kaiserkrönung Karls V. ebenso anwesend wie auf dem Augsburger Reichstag von 1530, wo er Augenzeuge des Vortrags der Confessio Augustana wurde und damit die Geburtsstunde der protestantischen Reichsstände miterlebte. Wie sehr sich in der Folge durch die permanenten Türkenkriege und vor allem durch die internen Religionsstreitigkeiten die Fronten verhärteten und ein Klima der Intoleranz, gegenseitiger Verdächtigungen und des gewaltbereiten Hasses entstand, beunruhigte Pflug zutiefst und ließ ihn nach Auswegen suchen. In Erasmus von Rotterdam und Kaiser Karl V. fand er schnell die bleibenden Bezugspunkte seiner Entwicklung und geistigen Orientierung. Während das Kaisertum für Pflug die von Gott gegebene oberste und unumstrittene Instanz des Staates darstellte, war Erasmus aufgrund seiner intellektuellen Brillanz, seiner irenischen Einstellung und seiner zwischen den auseinander driftenden religiösen Parteien vermittelnden Haltung das Vorbild für Pflug. Erasmus selbst wies Pflug durch die Widmung seiner Schrift „De sarcienda ecclesie concordia“ den Weg seiner Lebensbestimmung: alles zu tun, um die Einheit der Kirche in Christus zu bewahren. Ebenso wie Herzog Georg war ihm die Reformbedürftigkeit der Kirche bewusst, doch hielt er eine radikale Abkehr nicht für den richtigen Weg, vielmehr setzte er auf den Weg der schrittweisen Veränderung im Rahmen der bestehenden Strukturen. In diesem Sinne spielte er schon bald eine führende Rolle in den kirchlichen Reformbestrebungen Herzogs Georg des Bärtigen und gestaltete aktiv die um Ausgleich bemühten Religionsgespräche der Landstände am Lebensabend des Herzogs mit. Unmittelbar nach dem Tod des Herzogs und dem Herrschaftsantritt seines evangelischen Bruders, Herzog Heinrich, erfuhr Pflug in seiner Funktion als Dekan des Meißner Domkapitels die ganze Härte und die in den langen Jahren der Amtszeit von Herzog Georg aufgestaute Wut der von letzterem unterdrückten Protestanten. Die gegen seinen Widerstand als Fanal für die Einführung der Reformation inszenierte gewaltsame Zerstörung des St. Bennograbes im Meißner Dom im Sommer 1539 und die folgende Nachstellung gegen ihn und seine Mitbrüder zwang ihn zur Flucht nach Mainz, wo er als Ratgeber von Kardinal Albrecht von Brandenburg unterkam. Mit der einstimmigen Wahl Pflugs zum Naumburger Bischof durch das Domkapitel und der eigenmächtigen Einsetzung Nikolaus von Amsdorfs als ersten evangelischen Bischof durch Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen im Jahr 1542 kam es durch den vor den Reichsständen eingelegten Protest Pflugs zu einer Entwicklung, die im Schmalkaldischen Krieg mündete und in der vernichtenden Niederlage der Protestanten in Mühlberg im April 1547 endete. Im Gefolge des siegreichen Kaisers Karl V. zog Pflug als Bischof in Naumburg und der Residenz in Zeitz ein und wurde nun zu einem der wichtigsten Berater des Kaisers auf religionspolitischem Gebiet. Pflug war entsprechend an der Abfassung des Interims und der Acta Reformationis beteiligt, er widmete sich mit seiner ganzen Kraft der Herstellung der Einheit der verfeindeten Religionsparteien, leitete Religionsgespräche und kämpfte für die päpstliche Billigung von Laienkelch und Priesterehe. Insbesondere in Philipp Melanchthon fand er hier einen Ansprechpartner, mit dem ihn eine Gelehrtenfreundschaft verband. Bis zu seinem Lebensende wirkte Pflug für den Ausgleich. Er war auf fast allen Reichstagen, erlebte den Augsburger Religionsfrieden, nahm am Trienter Konzil teil und erhielt tatsächlich kurz vor seinem Tod die Gewährung der Ausreichung des Abendmahls in beiderlei Gestalt in seinem Bistum durch Papst Pius IV. Für die von Pflug erhoffte Wiederherstellung der Einheit der Religionsparteien kam dies jedoch zu spät.

Pflug hat den Prozess der Entstehung der Konfessionalisierung von Anfang bis Ende in leitender Funktion miterlebt und miterlitten. Konnte er auch die Trennung nicht verhindern, so hat er durch seine christuszentrierte Theologie und seine Stärken im Dialog: Zuhören können, auf den Gesprächspartner zugehen, sachlich diskutieren und verlässlich sein, sich bleibende Verdienste erworben.